Kultur- und Heimatverein Westerkappeln
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Erinnerung erleben – Jüdische Familien in Westerkappeln
Jüdisches Leben in Westerkappeln
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Spuren jüdischen Lebens in Westerkappeln

„Sie waren angesehene Mitglieder der Gemeinde. Tierärzte, Kaufleute – Menschen unter Menschen. Sie hießen Block, Meyer oder Reinhaus. Doch irgendwann gegen Ende der 1930er Jahre waren sie nicht mehr da. Hitlers NS–Regime hatte Deutschland fest im Griff, ein Miteinander von Juden und anderen Deutschen durfte es nicht mehr geben. Den Rest ihres Lebens verbrachten die Familien nicht in ihren Westerkappelner Häusern, sondern in Konzentrationslagern oder auf der Flucht. Wo genau in Westerkappeln diese Menschen damals lebten, ist dem Großteil der Bürger unbekannt.“ Das schrieb am 17. Februar 2011 Thorsten Kleinhubbert in den Westfälischen Nachrichten.

Inzwischen hat sich das geändert. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Nach diesem Wort aus dem Talmud – gleichsam als Motto – gestaltet und verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig am letzten Wohnort der Menschen, die zwischen 1933 und 1945 Opfer von Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten wurden, Stolpersteine.

Gunter Demnig verlegt Stolpersteine

So verlegte am 1. März 2014 die Initiative „Stolpersteine für Westerkappeln“ gemeinsam mit dem Künstler unter großer Beteiligung vieler Gemeindemitglieder acht Stolpersteine in unserem Ort:

Lage der Stolpersteine in Westerkappeln

Für Ernst, Lilly, Martha und Walter Reinhaus, Große Straße 4 (linkes Quadrat in der Karte). Für Dr. Feodor Block, Bernhardine Block, Dr. Hildegard Rosenthal und Dr. Gertrud Rosenwald, Osnabrücker Straße 11 (rechtes Quadrat). Das Fünfeck markiert die damalige Lage der Synagoge, die 1830 von Landesrabbiner Sutro eingeweiht wurde. Fast ein Jahrhundert später war die jüdische Gemeinde zu klein geworden. Der Gottesdienst konnte nicht mehr in Westerkappeln gefeiert werden, das Gebäude wurde 1929 verkauft und wenig später abgerissen.

Ernst Reinhaus

Haus Westerkappeln 10

Haus Westercappeln 10, heute Westerkappeln Große Straße 4. Das Haus war schon lange – seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts – im Besitz der Familie Block.

Familie Reinhaus

Bild der ganzen Familie. In diese Familie und dieses Haus heiratete der aus Essen stammende Ernst Reinhaus (1880 – ermordet 1942 in Riga) und betrieb mit seiner Frau Clara (geb. Block) eine Gemischtwarenhandlung. Er war Soldat im 1. Weltkrieg und erhielt das Eiserne Kreuz. Am 02. Februar 1921 wurde Tochter Martha geboren. Drei Jahre nach der Geburt der Tochter Martha (1921 – 2014) verstarb die Ehefrau und Mutter Clara (19.07.1882 - 02. 06.1924).

Grabstein Clara Reinhaus

Grabstein von Clara Reinhaus. Die Inschrift auf ihrem Grabstein, "hier ruht die hochgeschätzte Frau droben und drunten geliebt eine Gehilfin Lebensgefährtin war sie ihrem Mann mit ganzer Seele hing sie an ihrer Tochter" – ist Ausdruck ihrer Wertschätzung.

Stolperstein Ernst Reinhaus

Stolperstein zum Gedenken an Ernst Reinhaus, der im Ort und besonders in der jüdischen Gemeinde angesehen war, denn er unterzeichnete als ihr Vertreter 1929 den Vertrag zum Verkauf der Synagoge. In zweiter Ehe mit Lilly Stern (08.07.1890 – ermordet 1942 in Riga) verheiratet, wurde 1927 Sohn Walter (1927 – 1981) geboren.

Ernst Reinhaus

Mit Beginn der 30er Jahre wurde die soziale Isolierung der Familie und die Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlagen Anzeichen einer drohenden Vernichtung. 1936 verkaufte Ernst Reinhaus sein Haus unter Wert (an einen heimischen Kaufmann). In der Reichsprogromnacht (09.11.1938) drangen örtliche SA-Männer in das Haus der Familie ein und richteten erheblichen Schaden an.

Im Dezember 1938 verließ das Ehepaar mit Sohn Walter Westerkappeln in Richtung Bochum und wurde dort am 08.05.1939 unter der Anschrift Neustraße 17/2 und später unter Vidumestraße 11 gemeldet. Die Kinder Martha und Walter fanden den Weg nach Amerika. Ernst Reinhaus und seine Frau Lilly verließen Westerkappeln, sie warteten in Bochum auf die Einreisepapiere in der Hoffnung auf Rettung, die Bemühungen um Emigration scheiterten, sie wurden am 27.01.1942 nach Riga deportiert und ermordet. Das ehemalige Haus der Familie Reinhaus (Große Straße 4) im Jahre 1970:

Haus Große Straße 4 im Jahre 1970

Lilly Reinhaus

Stolperstein Lilly Reinhaus

Im Mai 1926 zog Lina Nanni (genannt Lilly) Stern (geboren am 08.07.1890 in Marburg an der Lahn) nach Westercappeln 10 (heute Große Straße 4) und heiratete den Witwer Ernst Reinhaus (1880 – 1942) mit seiner Tochter Martha (1921 – 2014). Gemeinsam führte das Ehepaar die Gemischtwarenhandlung. Am 07.02.1927 wurde Sohn Walter in Osnabrück geboren.

Lilly Reinhaus

Mit ihrer Familie durchlitt sie die menschenverachtenden Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes. Zwischen der Pogromnacht (1938) und dem Beginn des 2. Weltkrieges entschieden sich die Eltern Lilly und Ernst, die siebzehnjährige Tochter Martha der Rettungsmaßnahme Kindertransporten rescue movement nach England anzuvertrauen. Im Dezember 1938 verließ das Ehepaar mit Walter Westerkappeln. Sie hofften in Bochum die notwendigen Einreisepapiere für irgendein Land zu erhalten, um sich retten zu können. Im März 1940 konnte Sohn Walter von Genua aus den Weg nach Amerika nehmen. Die Bemühungen der Eltern um Emigration scheiterten. Ernst und Lilly Reinhaus wurden 1942 deportiert und in Riga ermordet. Neben den Stolpersteinen in Westerkappeln erinnert die Inschrift auf dem Grabstein der Eltern auf dem Jüdischen Friedhof Segeroth in Essen an Ernst und Lilly Reinhaus.

Martha Reinhaus

„Die Juden in Westerkappeln sprachen weder Jiddisch noch Hebräisch, sondern wie die Nachbarn links und rechts. Sie hatten keine Sehnsucht nach Jerusalem, sondern nach dem Bullerteich und dem Teutoburger Wald.“ Das sagte 1985 Martha Milton Bennett geborene Reinhaus.

Stolperstein Martha Reinhaus

Sie war die Tochter von Ernst Reinhaus und seiner Ehefrau Clara. In Westercappeln 10 (heute Westerkappeln Große Straße 4) betrieben sie eine Gemischtwarenhandlung. Geboren wurde sie am 02.02.1921. Die folgenden Bilder zeigen Martha mit ihrem Bruder und zwei Freundinnen und noch einmal Martha:

Martha Reinhaus und Freunde

1924 verstarb Marthas Mutter. In zweiter Ehe war der Vater mit Lilly Stern verheiratet, und Bruder Walter wurde 1927 geboren. Da die Westerkappelner jüdische Schule bereits 1921 aufgegeben wurde, besuchte sie die Volksschule. 1936 wurde ihr der Besuch von offizieller Seite untersagt, aber die Ursulinen im Nachbarort Mettingen förderten sie gerne in ihrer schulischen Ausbildung. In einer Eidesstattlichen Versicherung vom 31.Dezember 1953 schreibt Martha Reinhaus Bennett: „In der Nacht vom 9.11. zum 10.11.1938 wurden wir von dem Kaufmann J. J. benachrichtigt, dass die Nazis einen jüdischen Bauernhof in Westerbeck in Brand setzen würden, und dass sie in einigen Stunden auch nach Westerkappeln kommen würden um bei uns alles kurz und klein zu hauen. Einige Stunden später kamen zwei Polizisten und machten Haussuchung. Etwas später kamen 10 bis 15 Männer und zerschlagten unsere Möbel, Porzellan etc. Ein F. D. und ein Mann namens W. und ein Mann mit dem Namen S. waren mir persönlich bekannt. D. goss kochendes Wasser über meinen Körper und hat mich dann getreten und verprügelt. D., S. und W. (letztere arbeitete beim Amt in Westerkappeln) haben auch meine Eltern blutig geschlagen, trotzdem mein Vater sehr krank im Bett lag, und eine ärztliche Bescheinigung von Dr. S. hatte“ (Familiennamen nur mit dem Anfangsbuchstaben angegeben).

Und so formuliert es der damalige Amtsbürgermeister in seinem Bericht an den Landrat in Tecklenburg: „Der Amtsbürgermeister Westercappeln, den 1. November, Tagb.-Nr. 3037, Betrifft: Vergeltungsaktion gegen Juden, mündliche Verfügung vom 11. November:

An den Herrn Landrat in Tecklenburg: Auch bei den hiesigen Juden wurden Vergeltungsaktionen vorgenommen. Fast sämtliche Juden wurden verhauen und die Einrichtungsgegenstände ihrer Wohnungen stark zertrümmert. Die Juden haben wohl hierbei einige Verletzungen bekommen, diese sind aber nicht sehr erheblich. Getötet wurde kein Jude; auch wurde kein jüdisches Gebäude in Brand gesteckt. Die Aktion wurde mit Unterbrechung durchgeführt. Morgens gegen 6 Uhr wurde das Umschulungsslager aufgesucht, dann gegen 9 Uhr dasselbe noch einmal und anschließend das Geschäft des Juden Reinhaus in Westercappeln. Die letzte Aktion setzte nachmittags ein und zwar bei den Juden Reinhaus in Westercappeln und Dr. Block in Westercappeln. Diese war gegen 17 Uhr beendet. Die hiesige Bevölkerung ist im allgemeinen für diese Vergeltungsaktion, man hört aber auch verschiedentlich, man hätte die Einrichtungsgegenstände nicht zertrümmern sollen.“

Martha Reinhaus Reisepass

1938 verließ Martha Reinhaus Westerkappeln in Richtung Großbritannien (Bild oben aus ihrem Reisepass). Zwischen der Pogromnacht 1938 und dem Beginn des 2. Weltkrieges gingen 10000 Kinder (aus dem nationalsozialistischen Deutschland, aus Österreich, Polen und der Tschechoslowakei) ohne ihre Eltern nach Großbritannien – eine Maßnahme der "Kindertransporten rescue movement". Das Bild unten zeigt die Bronzeplastik "Kindertransporte - Channel Crossing to Life" von Frank Meisler im Fährhafen von Hoek van Holland.

Kindertransporte - Channel Crossing to Life

Zwei Jahre später dann, vom 03. bis 13. Mai 1940, verließ sie mit der "SS BRITANNIC" von Liverpool aus Europa in Richtung New York und fand zunächst Heimat bei einem Onkel in Baltimore. Sie heiratete Dr. Milton Bennett, der in Ticonderoga (NY) am Lake George 40 Jahre eine optometrische Praxis führte. Nachdem Dr. Milton Ruheständler geworden war, bevorzugte es das Ehepaar, den Winter in Tucson (Arizona) zu verbringen. 2002 erfolgte der Umzug nach Saratoga. Nach dem Tode ihres Ehemannes liebte Martha weiterhin die Aufenthalte in Tucson, wo sie am 16. April 2014 verstarb.

Wie heißt es liebevoll im Nachruf: "Her greatest pleasure was to entertain family and guests there and many will fondly remember sipping drinks, good conversation and laughter on the porch at sunset. She was active in the community, as a member of the eastern Stars and the Hospital Auxiliary."

Walter Reinhaus

Stolperstein Walter Reinhaus

Am 07.02.1927 wurde Walter Reinhaus in Osnabrück geboren – Sohn der Eheleute Ernst Reinhaus und Lina Nanni (genannt Lilly) in Westercappeln 10 (heute Westerkappeln Große Straße 4), die eine Gemischtwarenhandlung betrieben. Walter besuchte von 1933 bis 1935 die ev. Volksschule in Westercappeln.

Walter Reinhaus

In seinen persönlichen Aussagen über sein Leben im Nationalsozialismus berichtet er, dass er während dieser Jahre oft von seinen Mitschülern und Lehrern verspottet, belästigt und gequält wurde, so dass sich seine Eltern veranlasst sahen, ihn (acht Jahre alt) nach Hannover und Essen umzuschulen. 1939/40 lebte er mit den Eltern in Bochum – zwischen dem 05. und 14.03.1940 verließ er auf der "SS REX" von Genua aus Europa mit "German Jewish Children Aid" in Richtung New York, lebte in St. Louis in einer Gastfamilie und besuchte dort die Schule. Von 1945 bis 1948 absolvierte er seinen Dienst in der US Armee, heiratete und studierte in Kalifornien und wurde 1950 für den Koreakrieg einberufen.

Walter Reinhaus

Bei seiner Entlassung 1951 stellte man eine schwere Erkrankung fest, die diverse Operationen zur Folge hatte. In seinen Aufzeichnungen schreibt Walter Reinhaus: „Es ist fast anzunehmen, dass die Ursache meiner Krankheit auf nat. soz. Verfolgung, welcher ich von 1933 bis1940 ausgesetzt war, zurückzuführen ist.“ Im Alter von 54 Jahren verstarb Walter Reinhaus am 14.11.1981 in Köln und wurde dort auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.

Bernhardine Block

Stolperstein Bernhardine Block

Bernhardine Block, geborene David, wird 1886 in Westerkappeln geboren und wächst hier auf. Sie ist die Tochter des Hermann Samuel David (1857 - 1925) und der Klara David, geb. Oster (1863 - 1947). Bernhardine ist die Älteste von vier Geschwistern. Am 18. Mai 1908 heiratet Bernhardine David im Alter von 21 Jahren den zehn Jahre älteren Tierarzt Dr. Feodor Block. In den Jahren 1909 und 1910 werden die Töchter Hildegard und Gertrud geboren.

Bernhardine Block wohnt zunächst mit ihrem Mann und den Kindern direkt im Ortskern, damals Westercappeln Nr. 10, heute Große Straße 4. Im Jahr 1925 zieht die Familie in ihr in Randlage neu gebautes Haus, damals Westercappeln Nr. 151, heute Osnabrücker Straße 11. In der Zeit des Wechsels der Jahre 1938/1939 ist das Ehepaar Block gezwungen, ihr Haus unter Wert zu verkaufen. Bernhardine Block folgt am 14. November 1938 ihrer Tochter Hildegard, die schon 1936 in die Niederlande ausreist, ins Exil nach Deventer, Lange Bisshopstraat 36.

Passantrag Bernhardine Block

Am 23. Oktober 1942 werden Bernhardine Block und ihr Eheman Feodor in Deventer verhaftet und von der Deutschen Wehrmacht im Sammel- und Durchgangslager Westerbork, Provinz Drenthe, in der Baracke 59/63 zwangsweise untergebracht. Ihre Tochter Hildegard mit Ehemann und dreijährigem Sohn werden schon etwa drei Wochen zuvor verhaftet und man hat sie inzwischen von Westerbork nach Auschwitz deportiert. Als das Ehepaar Block in Westerbork eintrifft, sind ihre Tochter und ihr Enkelsohn Daniel schon vor ein paar Tagen in Auschwitz ermordet worden.

Bernhardine und Dr. Feodor Block müssen etwa ein halbes Jahr im Lager Westerbork verbringen. Am 21. April 1943 werden beide in das Ghetto Theresienstadt in die damalige Tschechoslowakei deportiert. Das Ghetto ist ein weiteres Sammel- und Durchgangslager, ein Teil des NS-Systems zur geplanten Vernichtung der Menschen mit jüdischem Glauben. Der Transport XXIV mit dem Zug von Amsterdam aus wird fast einen ganzen Tag oder auch länger gedauert haben.

Passbild Bernhardine Block

Im Ghetto Theresienstadt ist das Ehepaar Block etwa ein halbes Jahr zwangsweise untergebracht. Von dort werden beide am 28. Oktober 1944 mit dem Transport Ev. Nr. 865 und Nr. 864, der mindestens einen Tag unterwegs ist, in das polnische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Bernhardine Block wird mit 57 Jahren Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

Kommentar: Die schriftlichen Quellen zu Bernhardine Block, geb. David, geben über die Schulzeit und ihr Leben bis zum 21. Lebensjahr keine Auskunft. Mit ihrer Heirat und der Geburt der Töchter dürfte sie im Rollenverständnis der damaligen Zeit den Alltag der Familie organisiert haben. Die Deportation mit dem Zug von Amsterdam in das Ghetto Theresienstadt führte das Ehepaar Block möglicherweise über die Bahnstrecke in Westerkappeln-Velpe, also durch die Heimatregion.

Eine Zeitzeugin, die damals in Velpe wohnte, berichtete, dass sie eines Tages einen großen Leichenberg auf dem dortigen kleinen Bahnhof beobachtet hat. Ein anderer Zeitzeuge teilte mit, dass bei dem Halt eines Zuges in Velpe aus geschlossenen Waggons der Ruf von Menschen nach Wasser zu hören war. Das sind wahrscheinlich Hinweise darauf, dass über die Bahnstrecke in Westerkappeln-Velpe Menschen in die Vernichtungslager transportiert wurden.

Dr. Feodor Block

Stolperstein Dr.Feodor Block

Dr. Feodor Block wird 1876 in Westerkappeln geboren und wächst hier auf. Er ist der Sohn von Daniel Block (1833 - 1907) und Bella Block, geborene Simon (1843 - 1919), und er hat sieben Geschwister. Feodor Block schließt seine Schulzeit mit dem Abitur ab und studiert anschließend Tiermedizin. Zum Abschluss seines Studiums wird ihm der Doktorgrad verliehen. Als Tierarzt kehrt Dr. Block zurück in seinen Heimatort und behandelt von nun an die Nutztiere in der hiesigen Landwirtschaft.

Am 18. Mai 1908 heiratet Dr. Block im Alter von 31Jahren die zehn Jahre jüngere Bernhardine David aus Westerkappeln. Ein Jahr später wird ihre Tochter Hildegard geboren. Im Herbst 1910 folgt die zweite Tochter Gertrud. Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges wird Dr. Block 1914 zum Militärdienst einberufen. Am Kriegsgeschehen nimmt er als Frontkämpfer teil, unter anderem an der Schlacht um Verdun 1916, und kehrt erst mit Ende des Krieges 1918 zurück nach Westerkappeln. Hier beginnt er noch im gleichen Jahr seine nebenberufliche Tätigkeit als Lehrer an der landwirtschaftlichen Winterschule.

Dr. Feodor Block

Die Familie Block wohnt zunächst direkt im Ortskern, damals Westercappeln 10, heute Große Straße 4. Sie zieht im Jahr 1925 in ihr in Randlage neu gebautes Haus, damals Westercappeln 151, heute Osnabrücker Straße 11. Gegen Ende des Jahres 1938 oder zu Beginn von 1939 ist das Ehepaar Block gezwungen, sein Haus unter Wert zu verkaufen. Seit Oktober 1934 ist Dr. Feodor Block durch die NS-Gesetzgebung von einem Berufsverbot betroffen und er plant, seiner Frau und den Töchtern ins Ausland zu folgen, um der Diskriminierung und Verfolgung zu entgehen.

Am 24. Februar 1939 geht Dr. Feodor Block als letzter seiner Familie ins Exil. Er reist in die Niederlande, wo sich in Deventer seit etwa drei Monaten schon seine Frau und seit etwa drei Jahren auch seine jetzt schwangere Tochter Hildegard mit Schwiegersohn befinden.

Haus Dr. Block

Mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Niederlande am 10. Mai 1940 beginnt für die Familie Block erneut die Verfolgung durch das NS-Regime. Am 23. Oktober 1942 werden Dr. Feodor Block und seine Frau Bernhardine verhaftet und von der Deutschen Wehrmacht im Sammel- und Durchgangslager Westerbork, Provinz Drenthe, in der Baracke 59/63 zwangsweise untergebracht. Ihre Tochter Hildegard mit Ehemann und dreijährigem Sohn werden schon etwa drei Wochen zuvor verhaftet und man hat sie inzwischen von Westerbork nach Auschwitz deportiert. Als das Ehepaar Block in Westerbork eintrifft ist ihre Tochter und ihr Enkelsohn Daniel schon vor ein paar Tagen in Auschwitz ermordet worden.

Dr. Feodor und Bernhardine Block müssen etwa ein halbes Jahr im Lager Westerbork verbringen. Dann, am 21. April 1943, werden beide in das Ghetto Theresienstadt, gelegen in der damaligen Tschechoslowakei, deportiert. Es ist ein weiteres Sammel- und Durchgangslager, ein Teil des NS-Systems zur geplanten Vernichtung der Menschen mit jüdischem Glauben. Der Transport XXIV mit dem Zug von Amsterdam aus wird fast einen ganzen Tag oder auch länger gedauert haben. Möglicherweise fährt der Zug über die Bahnstrecke in Westerkappeln-Velpe, also durch die Heimatregion.

Passbild Dr. Block

Das Ehepaar Block ist im Ghetto Theresienstadt wiederum etwa ein halbes Jahr zwangsweise untergebracht. Von dort werden beide am 28. Oktober 1944 mit dem Transport Ev. Nr. 865 und Nr. 864, wieder mindestens eine Tagesreise, in das polnische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Dr. Feodor Block wird mit 68 Jahren Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

Kommentar: Dr. med. vet. Feodor Block lebte und arbeitete in Westerkappeln und war mit der Einwohnerschaft auf vielerlei Art verbunden. Daher fühlte er sich zunächst auch trotz nationalsozialistischer Machtergreifung und der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler, 30. Januar 1933, in seinem Heimatort sicher. Darauf lassen überlieferte Äußerungen von ihm schließen.

Die Ernüchterung kam spätestens am 9. November 1938, mit den „Vergeltungsaktionen gegen Juden“. Angehörige der NSDAP unter Beteiligung örtlicher SA-Männer drangen in das Haus ein, wo Dr. Block jetzt nur noch allein mit seiner Frau lebte. Die NS-Anhänger richteten dort Zerstörungen an und griffen Dr. Block auch körperlich an. Laut Zeitzeugen wurde ein gerahmtes Foto, das ihn als Soldat zeigte, auf seinem Kopf zerschlagen. Diese schrecklichen Erlebnisse dürften den Entschluss des Ehepaares zur Auswanderung noch verstärkt haben.

Im Exil in den Niederlanden bemühte sich die Familie Block ab 1939 um eine Auswanderung in die USA, nach Kuba oder nach Südamerika. Es scheiterte an den gesetzlichen Bestimmungen in den ins Auge gefassten Ländern und an der Kriegssituation in Europa. Mit der Besetzung der neutralen Niederlande durch die Wehrmacht im Mai 1940 wurde die Emigration aussichtslos.

Gertrud Block links und Hidegard Block rechts

Dr. Gertrud Rosenwald, geborene Block

Stolperstein Dr. Gertrud Rosenwald

Dr. Gertrud Block wird am 23. September 1910 in Westerkappeln geboren und wächst hier auf. Sie ist die Tochter des Dr. Feodor Block (1876-1944) und der Bernhardine Block, geb. David (1886-1944). Gertrud wohnt zunächst mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester direkt im Ortskern, damals Westercappeln Nr. 10, heute Große Straße 4. Ab 1925 lebt die Familie in ihrem in Randlage neu gebauten Haus, damals Westercappeln Nr. 151, heute Osnabrücker Straße 11. Ab1917 besucht Gertrud Block die jüdische Volksschule und die Rektoratsschule in Westerkappeln. Im Jahr 1922 wechselt sie zum Staatlichen Oberlyzeum nach Osnabrück, wo sie 1930 ihr Abitur macht. Im Anschluss beginnt sie in Münster ihr Medizinstudium. Dort erwirbt sie im Mai 1936 mit dem Staatsexamen und der Note „sehr gut“ den Studienabschluss. Zwischenzeitlich wechselt sie den Studienort und studiert eine Zeit lang in München und an der Universität Bern in der Schweiz. Hier fertigt sie auch ihre Doktorarbeit an, erlangt damit im Sommer 1936 die Doktorwürde und veröffentlicht die Doktorschrift im Jahr 1937.

Klassenfoto Gertrud Block 1928

Dr. Gertrud Block beginnt das Praktische Jahr, das letzte Jahr im Medizinstudium, am Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt. Ein Jahr später, am 16. Oktober 1937, wird ihr die staatliche Zulassung für die Ausübung des Berufs als Ärztin durch das Innenministerium wegen ihrer Religion verweigert. Aufgrund der Gesetzeslage in Nazi-Deutschland war das Berufsverbot zu erwarten und Dr. Gertrud Block bereitet auch deshalb schon im Sommer 1937 ihre Auswanderung in die USA vor. Am 28. Oktober 1937 verlässt sie Deutschland von Hamburg aus mit dem Schiff in Richtung Nordamerika. Dort kommt sie am 5. November in New York an.

Gertrud Block mit Familie

In den USA darf Dr. Gertrud Block zunächst nur als Krankenschwester arbeiten. Mit dem Ablegen einer fachspezifischen Prüfung erhält sie 1939 die Erlaubnis, in den Bundesstaaten New York und Illinois als Ärztin zu praktizieren. Mit 29 Jahren heiratet Dr. Gertrud Block am 15. Januar 1940 den drei Jahre älteren Fritz Rosenwald (1907-1977) aus Bünde in Westfalen, der bereits 1935 in die USA emigriert war. Am 27. Juli 1941 wird die Tochter Jean Susan (1941-1983) in Chicago geboren. Darauf folgt am 1. Oktober 1942 die Geburt des Sohnes Robert in Chicago.

Passbild Gertrud Block

Am 12. Februar 1960 beendet Dr. Gertrud Rosenwald, geborene Block, in Park Ridge, Illinois im Alter von 59 Jahren durch Selbstmord ihr Leben.

Dr. Gertrud Rosenwald, geb. Block

Kommentar: Besonders die Studienzeit von Dr. Gertrud Block vermittelt uns das Bild einer selbstbewussten und durchsetzungsfähigen jungen Frau. Sie fand passende Lösungen, um ihre Ziele zu erreichen und handelte vorausschauend. Dr. Gertrud Block wird sehr früh erkannt haben, dass Deutschland keine Zukunft für sie bot und dass das NS-Regime eine gefährliche Bedrohung darstellte.

Es ist eine unvorstellbare Tragik, dass Dr. Gertrud Rosenwald ab einem Alter von 32 Jahren ihre komplette Familie durch die NS-Gewaltherrschaft verliert. Dieses Trauma war so gravierend, dass sich die schrecklichen Ereignisse von ihr nicht in Worte fassen ließen. Wie der Sohn Robert berichtet, hatten sie als Kinder lange Zeit nichts über die Familie der Mutter gewusst. Robert Rosenwald hat im Juli 2018 zum zweiten Mal den Heimatort seiner Mutter und ihr Elternhaus aufgesucht. Dr. Gertrud Rosenwald, geborene Block, muss zu den Opfern des NS-Regimes in Deutschland gezählt werden, da sie vermutlich an der starken psychischen Erschütterung durch die Ermordung ihre Familie letztendlich zerbrach.

Dr. Hildegard Rosenthal, geborene Block

Stolpersteinbild Dr. Hildegard Rosenthal, geborene Block

Dr. Hildegard Block wird am 18. März 1909 in Westerkappeln geboren und wächst hier auf. Sie ist die Tochter des Dr. Feodor Block (1876-1944) und der Bernhardine Block, geb. David (1886-1944). Hildegard wohnt zunächst mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester direkt im Ortskern, damals Westercappeln Nr. 10, heute Große Straße 4. Ab 1925 lebt die Familie in ihrem in Randlage neu gebauten Haus, damals Westercappeln Nr. 151, heute Osnabrücker Straße 11.

Zur Schulzeit von Hildegard gibt es keine direkten Quellen. Es ist anzunehmen, dass Hildegard ab1915 die jüdische Volksschule und anschließend die Rektoratsschule Westerkappeln besucht. Im Jahr 1920 wird sie zum Staatlichen Oberlyzeum Osnabrück gewechselt sein, um ihr Abitur zu machen. Ihren Schulabschluss dürfte Hildegard 1928 bekommen haben und anschließend beginnt sie ein Studium. Bisher liegen keine Informationen zu ihrem Studienort, zur Fachrichtung und der Promotion vor.

Ausschnitt aus Schaukelbild, Hildegard fehlt

Im Jahr 1936 wandert Dr. Hildegard Block in die Niederlande aus. Ein Grund dafür werden die im September 1935 erlassenen „Nürnberger Gesetze“ gewesen sein, die die Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung bildeten. Die Gesetzgebungen des NS-Regimes betreffen Dr. Hildegard Block sicherlich in der Weise, dass sie keine Aussicht mehr hat, mit ihrem Studienabschluss in Deutschland beruflich Fuß zu fassen.

Verlobungsbild Familie Rosenthal

Dr. Hildegard Block heiratet dort am 7. Juli 1938 im Alter von 29 Jahren den sechs Jahre älteren Juristen Dr. Ewald Rosenthal (1903-1945) aus Ibbenbüren, der schon 1934 von Rheine aus in die Niederlande ging. Das Ehepaar Rosenthal lebt in Deventer, Lange Bisshopstraat 36. Am 30. September 1939 wird ihr Sohn Daniel in Deventer geboren. Die Familie wird am 3. oder 5. Oktober 1942 aus ihrer Wohnung in Deventer geholt und von der Deutschen Wehrmacht in das Sammel- und Durchgangslager Westerbork, Provinz Drenthe, verschleppt. Dort sind sie etwa zwei Wochen untergebracht.

Hildegard Rosenthal mit Sohn Daniel

Am 16. Oktober 1942 beginnt die dreitägige Deportation der Familie Rosenwald mit dem Zug nach Polen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Der Familienvater Dr. Ewald Rosenwald muss am 18. Oktober, etwa drei Stunden vor dem Erreichen von Auschwitz, in Cosel, Oberschlesien, den Zug verlassen. Er wird zwangsweise im dortigen Arbeitslager Blechhammer untergebracht und muss hier unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. Dr. Hildegard Block mit Sohn Daniel kommen am 18. Oktober 1942 in Auschwitz an. Beide werden dort am nächsten Tag im Alter von 33 und 3 Jahren ermordet.

Kommentar: Dr. jur. Ewald Rosenthal wurde am 18. Oktober 1942 in Cosel, Oberschlesien, zusammen mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Wilhelm aus dem Zug geholt. Sie gehörten zu 570 Personen, die hier den Transport verlassen mussten. Ewald und Wilhelm Rosenthal haben zweieinviertel Jahre Zwangsarbeit zu leisten. Am 21. Januar 1945 müssen dann beide an einem sogenannten Todesmarsch teilnehmen. Dieser führte von Blechhammer zum etwa 190 Kilometer entfernten Konzentrationslager Groß-Rosen. Etwa auf halber Strecke des Marsches kommt Dr. Ewald Rosenthal im Alter von 41 Jahren zu Tode. Eine häufige Todesursache war die Erschießung von durch Erschöpfung nicht mehr marschfähigen Häftlingen durch die SS-Wachmannschaften. Wilhelm Rosenthal erreichte den Zielort des Marsches Groß-Roden anscheinend noch. Das Datum seines Todes ist mit dem 7. Februar 1945 angegeben. Er wurde mit 37 Jahren Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

Rabbi Israel Ben Eliezer (1700 – 1760): REMEMBRANCE IS THE SECRET OF REDEMPTION

Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung. Wir haben die Stolpersteine gelegt – für die Vergangenheit, an die wir uns erinnern müssen und für die Zukunft, die wir menschlich gestalten können.

Natürlich ist die Arbeit an diesen Seiten ein „beständiger Prozess“. Wenn Sie Ergänzungen und Anregungen geben möchten, sind wir für jeden Hinweis dankbar. Möchten Sie die Erinnerung an jüdische Familien bei einem Ortsspaziergang erleben? Auch dann wenden Sie sich bitte an gaestefuehrungen@khv-westerkappeln.de

Mehr zu den Spuren jüdischen Lebens

Jüdischer Friedhof Westerkappeln - (Youtube): "1700 Jahre Jüdisches Leben im Münsterland"
Hakhshara Hof Stern / Westerkappeln - Fluchtpunkt Landwirtschaft: Auf Hachschara in Westfalen (WWU)
Spuren im Vest - Ernst Reinhaus
Spuren im Vest - Martha Reinhaus
Spuren im Vest - Walter Reinhaus
Stolpersteine NRW - Gegen das Vergessen (Westdeutscher Rundfunk Köln)

Quellen- und Literaturverzeichnis:

Literatur:

Althoff, Gertrud, 1987: Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Westerkappeln, von ihren Anfängen bis zur Vernichtung. - Hrsg. Gemeinde Westerkappeln. Westerkappeln 1987.
Althoff, Gertrud, 2005: Jüdische Westerkappelner, auf den Spuren ihrer Geschichte. - Hrsg. Gemeinde Westerkappeln. Westerkappeln 2005.
Feld, Willi, 1991: Geschichte des Judentums im Kreis Steinfurt von den Anfängen bis zur Vernichtung. Steinfurter Hefte 13. Steinfurt 1991.
Hammerschmidt, Bernd, 2017: Nur die Jüngste überlebte. Die jüdische Familie Block wurde Opfer der Nationalsozialisten. -Unser Kreis 2018, Jahrbuch für den Kreis Steinfurt, S. 102-106. Steinfurt 2017.
Terhorst, Kirsten, 1980/81: Juden in Westerkappeln. - Jahresarbeit Kl. 10H Ratsgymnasium. Osnabrück 1980/81.

Zeitungsartikel:

Havermeyer, Ulrike: Acht Mahnmale für Westerkappeln – Bildhauer Gunter Demnig verlegt Stolpersteine für Familien Block und Reinhaus. In: Westfälische Tagespost vom 3. März 2014 in Neue Osnabrücker Zeitung, S.23.
Kleinhubbert, Thorsten: Erinnerung in Stein gemeißelt. In: Westfälische Nachrichten vom 17. Februar 2011
Niemeyer, Katja: Bewegender Besuch, Nachfahre jüdischer Familie zu Gast in Westerkappeln / Mutter floh in die USA. In: Westfälische Tagespost vom 27. Juli 2018 in Neue Osnabrücker Zeitung, S.10.

Archive:

Archiv der Gemeinde Westerkappeln
Archiv des Kultur- und Heimatvereins Westerkappeln e.V.

Websites:

- Chronologie der Deportationen aus den Niederlanden
- Reinhaus, Ernst
- Holocaust Encyclopedia
- Gedenkblatt Gertrud Block
- Opferdatenbank
- Internationales Zentrum über NS-Opfer
- Nachruf Martha Reinhaus Bennett

Abbildungen:

Die abgebildeten Fotos stammen entweder direkt aus den genannten Quellen oder von den dort genannten Bildquellen. Außerdem wurden Fotos aus privatem Fundus zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang gilt ein besonderer Dank Frau Gertrud Althoff, Münster, die eine ganze Reihe Fotos von der Familie Block beigesteuert hat.

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